Es ist Unwetter als wir in Bordeaux auf der Rue Sainte-Catherine an der Ecke Rue du Cancera stehen und eigentlich zu MILES wollen. Das FNAC, in das wir uns noch bis zur Ladenschlusszeit geflüchtet haben und das eine erstaunlich gute Kochbuchecke hat, schließt, die Menschen drängen sich unter dem kleinen Vordach, denn es regnet wie bescheuert.
„Wir müssen eigentlich nur ein paar Meter weiter“, sage ich meinem Mann, der mich anguckt, als wäre ich nicht ganz von Sinnen, bei dem Regen überhaupt auch nur in Betracht zu ziehen, irgendwohin zu gehen. Auf der anderen Seite haben wir reserviert und lange warten möchte ich hier auch nicht. „Kannst du laufen?“ frage ich, mein Mann nickt und dann laufen wir halt los.
Rund 150 Meter weiter kommen wir durchnässt und außer Atem im MILES an, einem kleinen Restaurant, das von zwei jungen Paaren geführt wird. Das Konzept des MILES: Es gibt nur ein 5-Gänge-Menü abends, mittags kann man zwischen drei und vier Gängen wählen. Die Karte wechselt alle paar Wochen. Das Essen wird in der offenen Küche zubereitet, insgesamt gibt es vier kleine Tische und 13 Plätze (wenn ich richtig gezählt habe) an der Bar mit Blick auf eben diese offene Küche.
Reserviert habe ich am Samstagabend für Dienstag, und wurde Dienstagmorgen vom Anruf des Restaurants geweckt. Seitdem weiß ich auch, dass mein Französisch mittlerweile wieder so gut ist, dass ich auch im schlaftrunkenen Zustand zumindest verstehe, dass die Reservierung klappt und wir Plätze an der Bar haben werden. Das klingt erst ungemütlich, aber schon auf TripAdvisor wiesen Gäste darauf hin, dass man wirklich unbedingt an der Bar sitzen will, damit man auch alles mitbekommt, was in der Küche passiert. Grund zur Freude also.
Wir werden begrüßt und an unsere Plätze geführt. Die Karte ist recht überschaubar, klar, es gibt ja auch nicht viel auszuwählen, die Frage nach Allergien und Unverträglichkeiten verneinen wir und nehmen jeweils die Weinbegleitung für das Menü. Für mich gibt es noch einen Cocktail MILES als Aperitif, mein Mann als designated driver fragt nach einer alkoholfreien Alternative. Man könnte den Cocktail auch einfach ohne Alkohol machen, sagt die Bedienung und so machen wir es dann auch.
Der Aperitif ist fruchtig erfrischend, mit Limette und Minze und als alkoholfreie Variante fast noch leckerer. Während wir warten und trocknen können wir den vier jüngen Köchen beim Wuseln zusehen. Die Küche ist klein, aber das Team wirkt routiniert, schnell wird klar, dass hier jeder weiß, was wann von wem zu tun ist. Ich jauchze, als ich das Anova-Sous-Vide-Gerät erblicke und wir rätseln, was uns wohl heute sous-vide-gegart serviert wird.
Während sich das Restaurant weiter füllt, werden direkt vor uns Teller und Schüsselchen in Position gebracht und mit den Grüßen aus der Küche bestückt. Als erstes gibt es Algenchips mit Schweinbauch und karamellisierter Tomatensauce, danach Fenchelsalat in fermentierter Milch mit rohem Pollack. Beides schmeckt ganz ausgezeichnet und macht gespannt auf das, was kommen wird.
Zum ersten Gang gibt es einen Weißwein aus Kalifornien, auch etwas, das uns in Frankreich eher selten unterkommt. Die Franzosen bleiben üblicherweise bei französischen Weinen, davon haben sie ja zugegebenermaßen auch reichlich. Diesmal werden uns die Teller über die Bar angereicht, nachdem wir schon der Anrichtung beiwohnen konnten. Irgendwas mit Eigelb, Pilzen und Schäumchen. Was noch so alles drinsteckt wird uns so richtig mit jedem weiteren Handgriff bewusst. Jedes Mal, wenn wir denken, dass jetzt der Teller aber fertig sein muss, kommt noch jemand und fügt noch ein paar Blättchen oder ein bisschen Soße dazu.
Am Ende haben wir sous-vide-gegartes Eigelb mit Pilzen und Crumble, dazu eine Artischockencreme und Milchschaum mit Yuzu-Zitrone. Die Aromen stimmen, das Eigelb ist wunderbar weich, die Texturen kontrastieren, alles ist super. Die letzten Tropfen Eigelb wischen wir mit Brot auf, damit auch ja nichts umkommt.
In der Zwischenzeit wird der nächste Gang vorbereitet und das ist wieder sehr aufregend. Makrele wird direkt vor unseren Augen gegrillt. Dazu gibt es Tofumayonnaise, vietnamesisch gewürzte Auberginen, gerösteter schwarzer Reis, eingelegte Zwiebeln und eine Orangen-Ingwer-Sauce. Das ist alles ganz und gar köstlich, sowohl für sich als auch in der Kombination und natürlich mit der Feuershoweinlage vorher erst recht.
Es folgt der vielleicht schwächste Gang, was aber bei dem hohen Niveau auf dem hier gekocht wird, nicht viel heißen soll. Es gibt Stör auf einer Grünen-Curry-Sauce mit Zucchini und Muscheln mit Kokosschaum. Auch das alles gut, aber im Zusammenspiel nicht ganz so spannend wie die vorherigen (und Spoiler: die kommenden) Gänge.
Als vierten Gang gibt es Mais mit Ente. Unten Maispüree, darüber mit Miso gewürzter Mais, Blaubeeren, gegrillte Frühlingszwiebel und zwei Stücke von der Ente. Während mein Mann versucht, mir die Ente zu klauen, schwärme ich von Mais als unterschätztem Gemüse. Sowohl das Maispüree als auch der gewürzte Mais sind geschmacklich super, ich könnte direkt eine doppelte Portion essen oder hätte zumindest gerne das Rezept.
Die Teller werden uns üblicherweise von einem der Köche über die Theke gereicht, zusammen mit einer ausführlichen Erklärung, was wir auf dem Teller haben. Wir haben uns dafür entschieden, unser Essen auf Englisch erklärt zu bekommen, was auch ohne Probleme funktioniert. Das Publikum ist generell erstaunlich international. Neben uns sitzt ein britisches Paar, am Tisch hinter uns ein junges Paar aus Philadelphia und an einem anderen Tisch eine deutsche Gruppe. Die Bedienung entschuldigte sich gleich zu Anfang unnötigerweise für ihr vollkommen ausreichendes Englisch.
Nun also der letzte Gang, das Dessert. Wir bekommen Feigen-Buttermilch-Eiscreme auf Ziegenkäse-Honig-Schaum mit Feigen, Sesamkuchen und Honeycomb. Auch hier stimmt alles, außer, dass es der letzte Gang ist.
Schon trudeln die nächsten Gäste ein. Im MILES wird üblicherweise zu zwei Zeiten gestartet, um 19:30 Uhr und um 21:30 Uhr. So können die Teller weitestgehend zusammen angerichtet und serviert werden. Das bedeutet auch, dass davon ausgegangen wird, dass man in zwei Stunden durch ist, es wird aber niemand gedrängelt oder vor die Tür gesetzt, wenn es doch etwas länger dauert. Wir trinken noch einen Kaffee und fordern dann die Rechnung.
Für ein 5-Gänge-Degustations-Menü haben wir 48 Euro bezahlt. Die Weinbegleitung mit vier Weinen kostet 22 Euro. Wer nur zu zweit unterwegs ist, sollte zusehen, dass er an der Bar einen Platz bekommt, aber das MILES ist so klein, dass man auch von den Tischen aus noch einen guten Blick in die Küche hat.
Wir haben exzellent gegessen, wurden sehr freundlich bedient und alle unsere (Zwischen-)Fragen wurden jederzeit beantwortet. Wir sind zwar nicht oft in Bordeaux, aber im MILES waren wir hoffentlich nicht zum letzten Mal.
MILES
33, Rue du Cancera
33000 Bordeaux
Frankreich
Tel: +33 (0)5 56 81 18 24
www.restaurantmiles.com
Dienstag bis Freitag: 12:00 – 14:30, 19:30 – 22:00
Samstag 19:30 – 22:00